Landgericht Hamburg, Urteil vom 11. März 2025, Az.: 406 HKO 68/24

 

Wettbewerbsverstöße einer Medizial-Cannabis-Plattform

 

Leitsätze der Redaktion:

UWG § 3, § 3a, § 8 Abs. 3 Nr. 4, § 9, § 10

 

Bei der Behandlung mit medizinischem Cannabis ist wegen der Risiken für die Gesundheit, der Suchtgefahr und häufigen Nebenwirkungen generell ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen erforderlich.

 

Bei medizinischem Cannabis handelt es sich um ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel i. S. d. § 10 Abs. 1 HWG, ohne dass es darauf ankommt, dass im Internet bestimmte Arten von Cannabis beworben werden. Als Arzneimittel in diesem Sinne gelten nicht nur bestimmte, namentlich bezeichnete Präparate, sondern auch unbestimmte Arzneimittel, insbesondere wenn es sich um Arzneimittel mit demselben Wirkstoff handelt, wie es bei Cannabis der Fall ist

 

Tenor

 

1. Den Beklagten wird es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,-​, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall Ordnungshaft bis zu zwei Jahren, wobei gegen die Beklagte zu 1) die Ordnungshaft am Beklagten zu 2) zu vollziehen ist, untersagt

 

1.1 gegenüber Endverbrauchern für die Durchführung von telemedizinischen Behandlungen zu werben, bei denen die Verschreibung von medizinischem Cannabis angestrebt wird,

 

1.1.1 sofern dies erfolgt nach der Eingabe der Begriffe „Cannabis Rezept online“ bei der Internetsuchmaschine G. wie nachfolgend eingeblendet:

 

 

und/oder

 

1.1.2 bei Aufrufen der von den Beklagten betriebenen Internetseite „d..com“ wie folgt:

 

 

1.2 gegenüber Endverbrauchern für den Absatz von medizinischem Cannabis zu werben, wenn dies erfolgt wie nachfolgend eingeblendet:

 

 

und/oder

 

 

und/oder

 

 

2. Der Beklagte zu 2) wird verurteilt, an die Klägerin EUR 1006,34 zu zahlen.

 

3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

 

4. Die Kosten des Rechtsstreites tragen die Beklagte zu 1) zu 2/3 und der Beklagte zu 2) zu 1/3 nach einem Streitwert von EUR 150.000,00.

 

5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, zu 1. gegen Sicherheitsleistung i. H. v. EUR 150.000,00 und im Übrigen gegen Sicherheitsleistung i. H. v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

 

Tatbestand

 

Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen des Betriebes einer Internetseite, über die medizinisches Cannabis auf Rezept vermittelt wird, auf Unterlassung und Erstattung von Abmahnkosten in Anspruch.

 

Die Beklagte zu 1), deren Geschäftsführer der Beklagte zu 2) ist, betreibt eine Internetplattform, über die die Vermittlung von Rezepten für Cannabis angeboten wird. Eine bei der Internet-​Suchmaschine G. erscheinende Werbung für dieses Angebot ergibt sich aus Anlage K 4. Auszüge aus dem Internet Angebot, das auch eine Auswahl unter verschiedenen Cannabissorten ermöglicht, ergeben sich aus Anlagen K 5 bis K 8.

 

Die Klägerin nimmt die Beklagten nach erfolgloser vorprozessualer Abmahnung gem. Anlage K 9 mit der vorliegenden Klage diesbezüglich auf Unterlassung und Erstattung von Abmahnkosten in Anspruch. Die Klägerin macht geltend, aus den in der Klageschrift näher genannten Gründen verstoße der Internet-​Auftritt sowohl gegen das Verbot der Werbung für telemedizinische Behandlungen gem. § 9 HWG als auch gegen das Verbot der Publikumswerbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel nach § 10 Abs. 1 HWG.

 

Die Klägerin beantragt

 

zu 1) wie erkannt,

 

zu 2) den Beklagten zu 2) zu verurteilen, an die Klägerin EUR 2.002,41 zu zahlen.

 

Die Beklagten beantragen

 

Klagabweisung.

 

Die Beklagten machen geltend, aus den in der Klageerwiderung genannten Gründen liege kein Verstoß gegen die §§ 9, 10 HWG vor. Jedenfalls bei grundrechtskonformer Auslegung des § 9 HWG entspreche das streitige Internetangebot allgemein anerkannten fachlichen Standards i. S. v. § 9 S. 2 HWG. Auch handele es sich nicht um eine Werbung i. S. v. § 10 HWG für ein bestimmtes Arzneimittel, sondern um allgemein gehaltene Informationen betreffend medizinisches Cannabis.

 

Zur Ergänzung des Vorbringens der Parteien wird auf ihre Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

 

Die Klage ist zulässig und im Wesentlichen begründet nach §§ 3, 3a, 8 Abs. 3 Nr. 4 UWG i. V. m. §§ 9, 10 HWG.

 

Die streitige Werbung verstößt gegen §§ 9, 10 HWG.

 

Nach § 9 HWG ist eine Werbung für die Erkennung oder Behandlung von Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhaften Beschwerden, die nicht auf eigener Wahrnehmung von dem zu behandelnden Menschen beruht (Fernbehandlung) unzulässig.

 

Nach § 9 S. 2 HWG gilt dies nicht für die Werbung für Fernbehandlungen, die unter Verwendung von Kommunikationsmedien erfolgen, wenn nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen nicht erforderlich ist.

 

Wie mit den Parteien in der mündlichen Verhandlung besprochen, kommt es dabei für die in § 9 Satz 2 HWG geregelte Ausnahme von dem Verbot der Werbung für Fernbehandlungen auf eine Betrachtung der jeweils beworbenen Fernbehandlung im Allgemeinen an, also auf eine abstrakt generelle Betrachtung, im Gegensatz zu der Regelung des § 7 Abs. 4 der Musterberufsordnung für Ärzte, die die Durchführung von Fernbehandlungen im Einzelfall regelt, wobei auch dabei zu gewährleisten ist, dass eine Ärztin oder ein Arzt die Patientin oder den Patienten unmittelbar behandelt. Bei der Behandlung mit medizinischem Cannabis ist u. a. wegen der in den Anlagen K 8 auch von Beklagtenseite beschriebenen erheblichen Risiken der Suchtgefahr sowie weiterer Gesundheitsrisiken und häufigen Nebenwirkungen generell ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen erforderlich. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem von Beklagtenseite angeführten Grundrecht der Berufsfreiheit, das durch § 9 HWG eine zulässige und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechende gesetzliche Einschränkung erfährt, die der gleichfalls grundrechtlich geschützten Gesundheit der Patienten dient.

 

Die streitgegenständliche Werbung verstößt ferner gegen § 10 Abs. 1 HWG, wonach für verschreibungspflichtige Arzneimittel nur bei Ärzten, Zahnärzten, Tierärzten, Apothekern und Personen, die mit diesen Arzneimitteln erlaubterweise Handel treiben, geworben werden darf. Bei medizinischem Cannabis handelt es sich um ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel i. S. d. § 10 Abs. 1 HWG, ohne dass es darauf ankäme, dass auf der Internet-​Präsenz der Beklagten (Anlage K 7) auch bestimmte Arten von Cannabis beworben werden. Denn als Arzneimittel i. S. d. Verbotes der Publikumswerbung nach § 10 Abs. 1 HWG gelten nicht nur bestimmte, namentlich bezeichnete Präparate, sondern auch unbestimmte Arzneimittel, insbesondere wenn es sich um Arzneimittel mit demselben Wirkstoff handelt, wie es bei Cannabis der Fall ist (vgl. EuGH v. 22.12.2022, Az. C-​530/20).

 

Bei den streitgegenständlichen Internet-​Veröffentlichungen handelt es sich auch nicht lediglich um bloße Informationen über Cannabis, sondern um Werbung für die Verschreibung und den Bezug von Cannabis, bei der der Absatz des Produktes im Vordergrund steht.

 

§§ 9 und 10 HWG sind Marktverhaltensregelungen i. S. d. § 3a UWG, deren Verletzung unlauter i. S. d. § 3 UWG ist und nach § 8 Abs. 1 UWG einen Unterlassungsanspruch begründet, den nach § 8 Abs. 3 Nr. 4 UWG auch die Klägerin als berufsständische Körperschaft des öffentlichen Rechts im Rahmen der Erfüllung ihrer Aufgaben geltend machen kann. Als berufsständische Organisation der ihr angehörenden Apotheken gehört deren Überwachung ebenso wie die Wahrnehmung ihrer wirtschaftlichen Interessen zu den Aufgaben der Klägerin, die durch die hier streitige Verbreitung von medizinischem Cannabis unter erheblicher Missachtung der aus §§ 9 und 10 HWG erfolgenden Beschränkungen betroffen sind.

 

Als Geschäftsführer und Alleingesellschafter der Beklagten zu 1) sowie als Initiator ist der Beklagte zu 2) für das von der Beklagten zu 1) umgesetzte und hier streitgegenständliche Geschäftsmodell verantwortlich.

 

Der Anspruch auf Erstattung von Abmahnkosten ergibt sich aus § 13 Abs. 3 UWG, jedoch nur in Höhe von 1006,78 €, da der Beklagte zu 2) entsprechend der von Klägerseite vorgenommenen, angemessenen Aufteilung des Gesamtwertes der Angelegenheit auf die Beklagten nur für ein Drittel der Abmahnkosten von insgesamt 3020,34 € haftet. Für eine gesamtschuldnerische Haftung des Beklagten zu 2) für weitergehende Beträge fehlt es an einer Rechtsgrundlage, da der Klägerin kein Schadensersatzanspruch zusteht, auf den § 840 Abs. 1 BGB anwendbar wäre. Die gegenüber dem Normalfall (20 %) höhere Beteiligung des Beklagten zu 2) am Gesamtstreitwert rechtfertigt sich daraus, dass dieser nicht nur Geschäftsführer sondern auch Alleingesellschafter der Beklagten zu 1) ist.

 

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 100 Abs. 2, 709 ZPO.