Oberlandesgericht Karlsruhe, Urteil vom 22. Dezember 2022, Az: 4 U 262/22

Werbung für medizinische Fernbehandlung auf dem Online-Marktplatz einer Versandapotheke

UWG § 3, § 3a, § 8 Abs. 1; HWG § 9; ApoG § 11 Abs. 1 Satz 1

 

Leitsatz des Gerichts:

 

1. Ein elektronischer Marktplatzbetreiber für Apotheken, der nach § 5 TMG für die Homepage verantwortlich zeichnet, über die der Kunde zu den in der streitgegenständlichen Werbung beworbenen Dienstleistungen gelangt, kann Schuldner des Unterlassungsanspruchs nach §§ 3, 3a, 8 Abs. 1 UWG i.V.m. § 9 HWG sein, auch wenn er selbst keine Versandapotheke betreibt.

 

2. Zu den Voraussetzungen der Haftung eines elektronischen Marktplatzbetreibers für Apotheken nach §§ 3, 3a, 8 Abs. 1 UWG i.V.m. § 9 HWG.

 

3. Der Erlaubnistatbestand des § 9 Satz 2 HWG ist ein Ausnahmetatbestand. Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die beworbene Fernbehandlung den allgemeinen fachlichen Standards entspricht, liegt bei dem Werbenden.

 

4. Die pauschale Werbung für ärztliche Videosprechstunden ist gemäß § 9 HWG unzulässig, wenn der Eindruck erweckt wird, eine Videosprechstunde könne immer, also nicht nur bei bestimmten, eng begrenzten Indikationen in Anspruch genommen werden.

 

5. Der einschränkende Hinweis, dass die Videosprechstunde nur für Fernbehandlungen in Frage kommt, für die nach allgemeinen fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen nicht erforderlich ist, muss bereits in der Werbung selbst erfolgen, wenn der Verbraucher die beworbene Leistung nach Lesen der Werbung ohne weiteres durch Anklicken eines Links oder durch Scannen eines QR-Codes in Anspruch nehmen kann.

 

6. Ein elektronischer Marktplatzbetreiber für Apotheken, der selbst keine Apotheke betreibt, gehöht nicht zu dem in § 11 Abs. 1 ApoG definierten Adressatenkreis. Er kann jedoch als Gehilfe haften, wenn er die gegen § 11 Abs. 1 Satz 1 ApoG verstoßende Tätigkeit einer Versandapotheke unterstützt.

 

Gründe

 

I.

 

1 Der Verfügungskläger (im Folgenden: Kläger), der in Konstanz zwei Apotheken betreibt, nimmt die Verfügungsbeklagte, die X-Service B.V. (im Folgenden: Beklagte), eine Gesellschaft mit Sitz in den Niederlanden und Schwester- oder Tochter-Gesellschaft der niederländischen Versandapotheke  Shop Apotheke B.V., im einstweiligen Verfügungsverfahren auf Unterlassung der Werbung für eine Kooperation der Shop Apotheke B.V. mit dem Telemedizindienstanbieter Zava in Anspruch.

 

2 Hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen wird auf das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 10.06.2022 Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

 

3 Das Landgericht hat dem Eilantrag stattgegeben und die Beklagte antragsgemäß zur Unterlassung verurteilt. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung sei zulässig und sowohl aus dem Gesichtspunkt eines Verstoßes gegen § 9 HWG als auch gegen § 11 ApoG jeweils in Verbindung mit § 3a UWG begründet.

 

4 Die Beklagte sei passiv legitimiert, da die beanstandete Handlung von der Beklagten als der nach dem Impressum für die Homepage Verantwortlichen ausgehe und daher ihre Werbung sei. Eine unlautere „geschäftliche Handlung“ könne gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG auch zugunsten eines anderen Unternehmens vorgenommen werden. Zur Unterlassung verpflichtet sei in diesem Fall das handelnde Unternehmen.

 

5 Der Kläger berufe sich zu Recht auf die Grundsätze, die im Urteil des Bundesgerichtshofs vom 09.12.2021, Az. 1 ZR 146/20, niedergelegt seien. Diese seien hier entsprechend anwendbar. Zu Recht habe der Bundesgerichtshof § 9 HWG europarechtlich nur am Maßstab der Richtlinie 2001/83/EU geprüft. Der Tatbestand einer Werbung für eine Fernbehandlung nach § 9 Satz 1 HWG sei durch die Werbung der Beklagten erfüllt. Der Tatbestand von § 11 ApoG sei in der Tatbestandsvariante der Zuführung von Patienten ebenfalls erfüllt.

 

6 Hinsichtlich der Einzelheiten des Unterlassungstenors und der rechtlichen Begründung wird auf das Urteil des Landgerichts Konstanz Bezug genommen.

 

7 Die Beklagte wendet sich mit ihrer Berufung gegen dieses Urteil.

 

8 Zur Passivlegitimation: Rechtsirrig gehe das Landgericht Konstanz davon aus, dass die Beklagte – und nicht die niederländische Versandapotheke X-Apotheke B.V. – im Hinblick auf die angeblich rechtswidrige Werbung über Facebook und den Werbeflyer passiv legitimiert sei. Das Impressum der Webseite des Online-Shops der X-Apotheke B.V. lasse keinen Schluss darauf zu, ob die hier streitgegenständliche Werbung von der Beklagten stamme. Weder finde sich auf der Homepage der Versandhandelsapotheke ein dahingehender Hinweis noch habe der Kläger Belege angeführt, aus denen eindeutig hervorgehe, dass die Beklagte als Marktplatzbetreiberin die Werbeanzeigen der Versandhandelsapotheke geschaltet habe. Die Werbemedien seien klar von dem zum Impressum gehörenden Online-Shop zu trennen. Es sei demnach gerade nicht belegt, dass die Beklagte durch die Facebook-Werbung und den Werbeflyer für die Versandapotheke geworben habe. Mit Schriftsatz vom 23.11.2022 betont die Beklagte, dass die streitgegenständliche Werbung ausschließlich von der Versandapotheke X-Apotheke B.V. zu verantworten sei.

 

9 Nach Auffassung der Beklagten hat es der Kläger, der erstinstanzlich ausführlich dazu vorgetragen habe, warum die Beklagte passiv legitimiert sei, dabei versäumt, auf die jeweiligen Werbemedien abzustellen. Neuer Tatsachenvortrag hierzu sei nach § 531 Abs. 2 Satz 1 ZPO nun ausgeschlossen.

 

10 Auch ein Auftragsverhältnis im Sinne des § 8 Abs. 2 UWG zwischen der X-Apotheke B.V. und der Beklagten sei nicht dargelegt oder nachgewiesen. Dass die Beklagte von den streitgegenständlichen Werbeanzeigen gewusst habe, behaupte der Kläger zwar, trage aber weder konkrete Tatsachen vor, die eine solche Kenntnis belegen könnten, noch habe er eine solche Kenntnis auf das Bestreiten der Beklagten hin glaubhaft gemacht.

 

11 Zu § 9 HWG: Rechtsirrig gehe das Landgericht Konstanz zudem davon aus, dass die streitgegenständliche Werbung für Z gegen § 9 HWG verstoße.

 

12 Die Richtlinie 2011/24/EU über die Anerkennung von Berufsqualifikationen sei anwendbar. Auf Ärzte, die außerhalb Deutschlands niedergelassen seien und telemedizinische Leistungen für deutsche Patienten außerhalb Deutschlands erbringen würden, sei das deutsche Berufsrecht der Ärzte nicht anwendbar. Ob und unter welchen Bedingungen eine Fernbehandlung bei diesen Ärzten zulässig sei, bestimme sich nach dem Berufsrecht des Staates, in dem der Arzt seinen Wohnsitz habe, also vorliegend zum Zeitpunkt der beanstandeten Werbung nach dem Recht Irlands.

 

13 Mit der Einführung des § 9 Satz 2 HWG habe der Gesetzgeber eine akzessorische Bewertung von berufsrechtlich zulässiger Fernbehandlung und der Werbung für diese beabsichtigt. Der Bundesgerichtshof, der sich in seinem Urteil vom 09.12.2021, Az. I ZR 146/20 – Fernbehandlung, in der vom Landgericht zitierten Passage nur auf § 9 HWG a.F. bezogen habe, habe erkennbar keine Aussage darüber getroffen, ob eine solche Akzessorietät auch nach Einführung des § 9 Satz 2 HWG mit dem Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG) abgelehnt werden müsse.

 

14 Der Entscheidung des BGH vom 09.12.2021 habe auch ein nicht vergleichbarer Sachverhalt zugrunde gelegen. Für den vorliegend innereuropäischen Sachverhalt mit doppelter grenzüberschreitender Tätigkeit (aus den Niederlanden und aus Irland) sei die konkrete Auslegung der europäischen Regelungen (Erwägungsgrund 19 i.V.m. Art. 1, Art. 3 lit. d der Richtlinie 2011/24/EU sowie Art. 5 der Richtlinie 2005/36/EG) streitentscheidend. Ob ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Patienten erforderlich ist, sei richtigerweise nach dem anerkannten fachlichen Standard des Behandlungsmitgliedstaats zu bestimmen. Zum Nachweis der Tatsache, dass die beworbene telemedizinische Behandlung den irischen medizinischen Standard erfülle, sei explizit die Einholung eines Sachverständigengutachtens angeregt worden.

 

15 Dieses Ergebnis werde auch durch Art. 5 der Richtlinie 2005/36/EG über die Anerkennung von Berufsqualifikationen vom 07.09.2005 bestätigt, wonach bei einem „Begeben“ in einen anderen Mitgliedstaat zur vorübergehenden Berufsausübung eine Pflicht zur Beachtung der im Aufnahmemitgliedstaat bestehenden berufsständischen, gesetzlichen oder verwaltungsrechtlichen Berufsregeln bestehe. Ein Begeben in diesem Sinne liege bei Ärzten im Rahmen der Durchführung von telemedizinischen Dienstleistungen gerade nicht vor. Die im Rahmen des Angebots von Z bei der Durchführung von telemedizinischen Leistungen tätigen Ärzte hätten daher nur das Regelungsregime zum ärztlichen Berufsrecht in Irland einzuhalten, nicht das deutsche ärztliche Berufsrecht.

 

16 Das Landgericht Konstanz sei auch zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Werbende dafür darlegungs- und beweisbelastet sei, dass die von ihm beworbene Fernbehandlung den allgemein anerkannten fachlichen Standards entspreche. Bei § 9 Satz 2 HWG handele es sich nicht um eine Ausnahmeregelung zu § 9 Satz 1 HWG, sondern vielmehr um eine Vorschrift zur Reichweite des in Satz 1 enthaltenen Verbots. Es sei daher die Partei darlegungs- und beweisbelastet, die die Verletzung des Verbots nach § 9 Satz 1 HWG geltend mache.

 

17 Soweit das Landgericht Konstanz unter Verweis auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 14.09.2017, Az. I ZR 231/14, fordere, dass der einschränkende Hinweis hinsichtlich der Verfügbarkeit von ärztlichen Videosprechstunden in den jeweiligen Werbemedien (Werbeflyer und Facebook-Anzeige) hätte erfolgen müssen, überzeuge dies nicht. Das Landgericht habe die insoweit erforderliche Einzelfallprüfung nicht vorgenommen. Die Werbung beschränke sich auf eine bloße Ankündigung einer Verkaufsförderungsmaßnahme (Aufmerksamkeitswerbung). Auf der Homepage finde der Patient dann die konkreten Informationen zur Durchführung einer telemedizinischen Behandlung durch den Telemedizinanbieter Z, darunter auch die Information, dass die telemedizinischen Dienstleistungen nicht für jede Indikation durchgeführt werden könnten. Somit sei die Information zum eingeschränkten Behandlungsangebot durch Verweis auf die Homepage der X-Apotheke B.V. rechtzeitig erfolgt. Es sei nicht ersichtlich, wie durch weitere Informationen erst nach Eingabe bzw. Auswahl des Links auf der Webseite, darunter auch die Information, dass die telemedizinischen Dienstleistungen nicht für jede Indikation durchgeführt werden könnten, die durch § 9 HWG zu schützende Gesundheit des Einzelnen und der Allgemeinheit gefährdet würde. Vor diesem Hintergrund werde auch das geschäftliche Interesse des Werbenden unangemessen beschränkt.

 

18 Zu § 11 ApoG: Darüber hinaus liegt nach Auffassung der Beklagten keine unzulässige Absprache im Hinblick auf die Zuführung von Patienten nach § 11 Abs. 1 Satz 1 ApoG vor.

 

19 Das Landgericht habe den Adressatenkreis der Verbotsnorm von § 11 Abs. 1 ApoG verkannt. Die Beklagte richte sich mit ihrem Antrag ausdrücklich nicht gegen die Versandapotheke, sondern die Servicegesellschaft, die gerade keine Apotheke sei, sondern Dritte.

 

20 Das Fernarztdienstleistungsunternehmen Z könne auch kein Partner einer verbotenen Absprache sein. Denn das Verbot in § 11 Abs. 1 ApoG sei nach der Rechtsprechung des BGH eine abschließende Regelung, bei der eine enge Auslegung geboten sei. Nach Einführung des § 11 Abs. 1 Satz 3 ApoG, der die Geltung von § 11 Abs. 1 Satz 1 ApoG gerade nur für ausländische Apotheken bestimme, könne die Regelung nicht auf ausländische Ärzte und Dritte angewendet werden.

 

21 Die Beklagte wendet sich schließlich gegen den neuen Vortrag des Klägers zur Teilnahmehaftung. Dass die beiden Gesellschaften bei der Verbreitung der Werbung von telemedizinischen Behandlungen (vorsätzlich) zusammenarbeiten würden, werde bislang nur von dem Kläger behauptet. Der Kläger habe nicht glaubhaft gemacht, dass die Beklagte als Teilnehmer für den Wettbewerbsverstoß verantwortlich gemacht werden könne.

 

22 Die Beklagte beantragt,

 

23 das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 10.06.2022 (Az.: 7 O 11/22 KfH) aufzuheben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen sowie die Kostenentscheidung entsprechend abzuändern.

 

24 Der Kläger beantragt,

 

25 die Berufung zurückzuweisen mit der Maßgabe,

 

26 dass am Ende des Antrags im Anschluss an den Abdruck des Werbeflyers folgendes ergänzt wird: „und von dort zu der unter AST 3a im Screenshot vorgelegten und nachfolgend abgebildeten Zielseite jeweils weitergeleitet wird“.

 

27 Hinsichtlich der Anlage AST 3a wird auf die im Tenor abgebildete Anlage Bezug genommen.

 

28 Hilfsweise stellt der Kläger diesen Antrag mit der Maßgabe,

 

29 dass das Wort „insbesondere“ ersetzt wird durch das Wort „nämlich“.

 

30 Höchst hilfsweise beantragt er,

 

31 dass nach dem Wort „untersagt“ es wie folgt heißt: „geschäftlich handelnd zu Zwecken des Wettbewerbs für eine telemedizinische Behandlung zu werben, wenn dies erfolgt wie nachstehend eingeblendet:“.

 

32 Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil.

 

33 Das Landgericht habe zutreffend angenommen, dass die streitgegenständliche Werbung von der Beklagten stamme bzw. von dieser zu verantworten sei. Die Beklagte habe keinen Hinweis geliefert, wer anstelle der Beklagten für die Werbung für die Internetseite der Beklagten verantwortlich sein solle. Aus der Verknüpfung von Impressum der Internetseite und Werbung für die Internetseite ergebe sich der zulässige Rückschluss, dass die Beklagte auch für die Werbung verantwortlich sei. Das schlichte Bestreiten von Umständen, von denen die Beklagte jedoch Kenntnis habe, sei insoweit nicht ausreichend, um die Feststellungen des Landgerichts in Zweifel zu ziehen.

 

34 Würde man dem Vortrag der Beklagten nähertreten, so würde dies nach Auffassung des Klägers letztendlich dazu führen, dass die Beklagte Werbung schalten könne, ohne dass sich hieraus eine rechtliche Verantwortlichkeit ergebe. Die Beklagte als Betreiberin der Internetseite hätte im Übrigen selbst dann, wenn die Werbung nicht von ihr käme, die Verpflichtung, dafür Sorge zu tragen, dass im Zusammenhang mit der von ihr betriebenen Internetseite keine wettbewerbswidrige Werbung geschalten werde. Dieser ihr obliegenden Verpflichtung sei sie nicht nachgekommen.

 

35 Unter Berücksichtigung der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs habe das Landgericht auch zutreffend ausgeführt, dass die Bewerbung der telemedizinischen Dienstleistungen gegen § 9 HWG verstoße.

 

36 Die Annahme, dass sich die vorliegende Werbung nach dem Recht Irlands bemesse, sei durch den BGH in seiner Entscheidung vom 9. Dezember 2021 in der Sache zurückgewiesen worden.

 

37 § 9 HWG verfolge weitergehende Zwecke. Es gehe nicht um die Behandlung als solche, sondern um die Bewerbung von Fernbehandlungen. Dementsprechend habe das OLG Köln in seiner Entscheidung vom 10. Juni 2022, Az. 6 U 204/21, die Grundsätze des BGH auf das Angebot von Z für anwendbar erklärt.

 

38 Im Übrigen habe die Beklagte weder im Zusammenhang mit dem erstinstanzlichen Verfahren noch im Rahmen der Berufungsbegründung dargelegt, geschweige denn bewiesen, dass diese Art der Behandlung den Maßstäben in Irland entspreche, was nach wie vor bestritten werde.

 

39 Die Richtlinie 2005/36/EG sei nicht einschlägig, da diese Vorschrift keine Aussagen über die Zulässigkeit von Werbung für Fernbehandlungen enthalte.

 

40 Hinsichtlich der prozessualen Darlegungs- und Beweislast hätten sowohl der BGH als auch das OLG Köln übereinstimmend und zutreffend festgestellt, dass die Beweislast dafür, dass die Voraussetzungen des § 9 HWG eingehalten würden, nämlich dass nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen nicht erforderlich sei, bei der Beklagten liege. Hierzu sei von der Beklagten bisher nichts vorgetragen.

 

41 Die Hinweise auf der Internetseite seien hinsichtlich der Einschränkungen entgegen der Auffassung der Beklagten nicht ausreichend. Im Lichte des im Gesundheitswesen geltenden Strengeprinzips sei die Frage zu beantworten, welche Verpflichtungen ein Werbender im Gesundheitswesen im Einzelfall zu befolgen habe. Es wäre der Beklagten ohne weiteres möglich gewesen, den – per se rechtswidrigen – Hinweis auf die schnell zu erhaltenden Medikamente zu streichen und stattdessen darauf hinzuweisen, dass die Videosprechstunden nur für Einzelfälle geeignet sei.

 

42 Nach Auffassung des Klägers liegt auch ein Verstoß gegen § 11 ApoG vor. Die Beklagte sei jedenfalls Dritte im Sinne der Vorschrift. Sodann übersehe die Beklagte, dass eine Absprache auch zwischen ihr – der Dritten – und ihrer Schwestergesellschaft, die die Versandapotheke betreibe, als Grundlage der Verurteilung nach § 11 Abs. 1 ApoG ausreichen könne.

 

43 Im Übrigen habe das LG Köln in der Entscheidung vom 19. Oktober 2021, Az. 31 O 20/21, eine Zusammenarbeit zwischen der Schwestergesellschaft und dem Anbieter Z auf Basis von § 11 Abs. 1 ApoG untersagt, da eine unzulässige Zuweisung von Patienten vorliege. An dieser Absprache über die Zuführung von Patienten nehme die Beklagte jedenfalls teil, da sie durch ihre Werbung Beihilfe leiste, dass dem Anbieter der telemedizinischen Leistungen Patienten zugeführt würden. Da die Mitwirkung vorliegend vorsätzlich erfolge und von dem Willen der Beklagten getragen sei, die Zusammenarbeit zwischen der Versandapotheke und dem Anbieter Z zu fördern, sei von einer Teilnahmehaftung auszugehen.

 

44 Wegen des weiteren Berufungsvorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 01.12.2022 Bezug genommen.

 

II.

 

45 Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg. Das Landgericht hat dem Unterlassungsantrag im einstweiligen Verfügungsverfahren zu Recht stattgegeben.

 

46 Der Verfügungsanspruch ergibt sich aus §§ 3, 3a, 8 UWG i.V.m. § 9 HWG und § 11 Abs. 1 Satz 1 ApoG. Die Dringlichkeitsvermutung aus § 12 Abs. 2 UWG hinsichtlich des Verfügungsgrundes ist nicht widerlegt.

 

47 1. Dem Kläger steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch in der in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat konkretisierten Fassung des Hauptantrags zu. Auf die in zweiter Instanz gestellten Hilfsanträge kommt es damit nicht mehr an.

 

48 Bei der neuen Antragsfassung handelt es sich gemäß §§ 263, 264 ZPO nicht um eine Klageänderung, denn der Streitgegenstand ist unverändert geblieben. Die Ergänzung des Verfügungsantrags um die Anlage AST 3a dient lediglich der klarstellenden Konkretisierung des von Anfang an verfolgten Begehrens.

 

49 1. Die Aktivlegitimation des Klägers ergibt sich aufgrund des konkret bestehenden Wettbewerbsverhältnisses aus § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG.

 

50 2. Die Beklagte ist Schuldner des Unterlassungsanspruchs nach § 8 Abs. 1 UWG und damit passivlegitimiert, obwohl die Beklagte selbst keine Versandapotheke betreibt, vielmehr als elektronischer Marktplatzbetreiber für Apotheken, die den Webshop der Shop Apotheke B.V nutzen, nach § 5 TMG für die Homepage verantwortlich zeichnet.

 

51 In der streitgegenständlichen Werbung in Facebook und dem Werbeflyer wird auf die Homepagewww.xxx.com verwiesen, die laut Impressum von der Beklagten betrieben wird und über die der Kunde zu den in der streitgegenständlichen Werbung beworbenen Dienstleistungen gelangt. Der Link in der Facebook-Anzeige und der QR-Code auf dem Werbeflyer führen direkt zu dieser Internetseite, so dass alles dafür spricht, dass die Werbung in Facebook und im Flyer nicht von einem (unbekannten) Dritten, sondern von der Beklagten stammt oder zumindest mit ihrem Wissen und Einverständnis verbreitet wird.

 

52 Der Umstand, dass die streitgegenständliche Werbung nach dem jüngsten – streitigen – Vortrag der Beklagten ausschließlich von der Versandhandelsapotheke X-Apotheke B.V. zu verantworten sei, führt zu keiner anderen Bewertung. Denn auf den Werbemedien selbst ist nur der Name der Homepage „xxx.com“ erkennbar. Folgt man dem Verweis auf die Homepage, lässt sich zwar feststellen, wer Anbieter der beworbenen Leistung ist, nicht aber, wer für die Werbung verantwortlich zeichnet. Ob die X-Service B.V. oder die X-Apotheke B.V. die Leistung bewirbt, ist für den durchschnittlich aufgeklärten, verantwortlichen und vernünftigen Verbraucher nicht erkennbar. Da die Werbung zur Internetseite der Beklagten führt und von dort zu den beworbenen Angeboten weiterleitet, ist davon auszugehen, dass dies nicht ohne ihr Wissen geschieht. Die Beklagte macht sich die Werbung damit jedenfalls zu eigen. Dies gilt umso mehr, als die Beklagte angesichts der fast nicht unterscheidbaren Firmenbezeichnungen und der Tatsache, dass sie sich selbst auf der Homepage unter dem Reiter „über uns“ als „Ihre X-Apotheke“ bezeichnet hat (vgl. Anlage BB 2), den Anschein gesetzt hat, dass die Werbung von ihr stammt bzw. (mit-)verantwortet wird. Die Beklagte muss sich jedenfalls aufgrund dieses veranlassten Rechtsscheins die auf ihre Homepage verweisende Werbung für über ihre Homepage zugängliche Dienstleistungen als eigene Werbung zurechnen lassen.

 

53 Für dieses Ergebnis spricht im Übrigen auch die Heranziehung des wettbewerbsrechtlichen Irreführungsverbots, das bei speziell mit dem Internet zusammenhängenden Phänomenen als eine Art Auffangtatbestand dient (vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen/Bornkamm/ Feddersen, 40. Aufl. 2022, UWG § 5 Rn. 2.128).

 

54 Gleiches gilt bei Heranziehung des Rechtsgedankens des § 8 Abs. 2 UWG. Denn die Beklagte wird von denselben Geschäftsführern wie die X-Apotheke B.V. betrieben, teilt sich mit letzterer nicht nur dieselbe Postanschrift, dieselbe Service-Telefonnummer und dieselbe E-Mail Anschrift, sondern auch die Homepage, die die X-Apotheke B.V. zum Vertrieb ihrer Produkte benutzt.

 

55 3. Die streitgegenständliche Werbung mit Fernarztdienstleistungen verstößt gegen §§ 3, 3a UWG i.V.m. § 9 HWG.

 

56 Gemäß § 9 Satz 1 HWG nF ist eine Werbung für die Erkennung oder Behandlung von Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhaften Beschwerden unzulässig, die nicht auf eigener Wahrnehmung an dem zu behandelnden Menschen oder Tier beruht (Fernbehandlung). Dies gilt gemäß § 9 Satz 2 HWG nF nicht für die Werbung für Fernbehandlungen, die unter Verwendung von Kommunikationsmedien erfolgen, wenn nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen nicht erforderlich ist.

 

57 § 9 HWG ist eine Marktverhaltensregelung im Sinne von § 3a UWG, deren Verletzung die Interessen der Verbraucher spürbar zu beeinträchtigen geeignet ist (BGH, Urteil vom 9. Dezember 2021 – I ZR 146/20 – Werbung für Fernbehandlung, juris Rn. 20).

 

58 a) Der Anwendungsbereich des HWG ist eröffnet, denn geworben wird gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 a) HWG für „andere Mittel, Verfahren, Behandlungen und Gegenstände“ – nämlich die Videosprechstunde und E-Rezepte – bezogen „auf die Erkennung, Beseitigung oder Linderung von Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhaften Beschwerden beim Menschen“.

 

59 b) Zwingendes Unionsrecht steht der Anwendung des § 9 HWG nicht entgegen.

 

60 aa) Die Richtlinie 2001/83/EG, mit der die Arzneimittelwerbung vollständig harmonisiert worden ist, steht nicht entgegen, denn dieser Richtlinie, die im Titel VIII lediglich die Werbung für bestimmte Arzneimittel regelt, lassen sich keine Anforderungen an eine Werbung für eine umfassende, die Diagnose, Therapie und Krankschreibung einschließende ärztliche Fernbehandlung entnehmen, wie sie hier vorliegt (BGH, a.a.O., juris Rn. 31 ff.; so auch OLG Köln, Urteil vom 10. Juni 2022 – I-6 U 204/21 – Rezept vom Online-Arzt, juris Rn. 58).

 

61 bb) Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die Richtlinie 2011/24/EU des europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2011 über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung hier nicht anwendbar ist.

 

62 Der Erwägungsgrund 19 i.V.m. Art. 1 und 3 lit. d) der Richtlinie 2011/24/EU findet auf den vorliegenden Fall – unabhängig von der Frage, welche Staaten grenzüberschreitend beteiligt sind – keine Anwendung. Denn er bezieht sich auf die Fernbehandlung als solche und nicht auf die Zulässigkeit der Werbung für Fernbehandlungen. § 9 HWG formuliert jedoch einen abstrakten Gefährdungstatbestand. Das Werbeverbot dient dem Gesundheitsschutz unabhängig von der berufsrechtlichen Zulässigkeit oder Unzulässigkeit der beworbenen Fernbehandlung, weil die Werbung für sich genommen eine Gesundheitsgefahr begründen kann. Eine Akzessorietät zwischen Werbeverbot und ärztlichem Berufsrecht besteht nicht (BGH, a.a.O., juris Rn. 21, 41 ff., der die dort beanstandete Werbung an § 9 HWG alter und neuer Fassung gemessen hat).

 

63 Das Werbeverbot des § 9 HWG ist auch in seiner ab dem 19. Dezember 2019 geltenden neuen Fassung unabhängig von der berufsrechtlichen Zulässigkeit der Fernbehandlung selbst und auch in der neuen Fassung hierzu nicht akzessorisch. Denn der Zweck des Heilmittelwerbegesetzes hat sich durch Einführung des § 9 Satz 2 HWG nicht verändert. Dieser liegt darin, Gefahren zu begegnen, die der Gesundheit des Einzelnen und den Gesundheitsinteressen der Allgemeinheit durch unsachgemäße Medikation unabhängig davon drohen, ob sie im Einzelfall wirklich eintreten. Darüber hinaus soll verhindert werden, dass Kranke und besonders ältere Menschen zu Fehlentscheidungen beim Arzneimittelgebrauch und bei der Verwendung anderer Mittel zur Beseitigung von Krankheiten oder Körperschäden verleitet werden (BGH, a.a.O., Rn. 42). An dem Umstand, dass dieser Zweck verfehlt würde, wenn durch ein ungeschriebenes Merkmal der berufsrechtlichen Unzulässigkeit der beworbenen Fernbehandlung gerade die besonders gesundheitsgefährdende Werbung durch berufsrechtlich nicht reglementierte Personen außerhalb der freiberuflich tätigen Ärzteschaft privilegiert würde (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 42), hat sich auch seit Inkrafttreten der neuen Gesetzesfassung nichts geändert.

 

64 Aus der Gesetzesbegründung, wonach durch Einführung des Satz 2 die durch Beschluss des 121. Deutschen Ärztetages erfolgte Anpassung des ärztlichen Berufsrechtes im Hinblick auf die Reichweite des Werbeverbotes nachvollzogen werden sollte (vgl. BT-Drs. 19/13438, S. 77 f.), ergibt sich nichts Anderes. Dass nunmehr eine Akzessorietät zwischen Werbeverbot und Berufsrecht gewollt wäre, lässt sich der Gesetzesbegründung nicht entnehmen. Vielmehr wird in der Gesetzesbegründung betont, dass es im Gegensatz zur berufsrechtlich vorgesehenen Einzelfallentscheidung im Rahmen des § 9 HWG lediglich auf eine abstrakte, generalisierende Bewertung ankommen kann, da sich Werbung unabhängig von einer konkreten Behandlungssituation an eine Vielzahl individuell nicht näher individualisierter Personen richtet.

 

65 cc) Auch der Grundsatz der Dienstleistungsfreiheit, Art. 5 der Richtlinie 2005/36/EG, insbesondere Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie, und § 2 Abs. 7 MBO-Ä stehen der Anwendung von § 9 HWG nicht entgegen. Dort geht es jeweils nur um die Pflicht der Ärzte, die grenzüberschreitend tätig werden, zur Beachtung der Berufsregeln im Aufnahmemitgliedstaat. Die Normen treffen keine Aussage über die Zulässigkeit von Werbung für Fernbehandlungen (OLG Köln, a.a.O., juris Rn. 59, 60).

 

66 c) Die angegriffene Werbung der Beklagten entspricht nicht den gesetzlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 9 Satz 2 HWG.

 

67 aa) Der in § 9 Satz 2 HWG verwendete Begriff der allgemein anerkannten fachlichen Standards ist unter Rückgriff auf den entsprechenden Begriff gemäß § 630a Abs. 2 BGB und die dazu mit Blick auf die vom Arzt zu erfüllenden Pflichten aus einem medizinischen Behandlungsvertrag entwickelten Grundsätze auszulegen. Mit einer an § 630a Abs. 2 BGB orientierten Auslegung wird dem vom Gesetzgeber verfolgten Anliegen entsprochen, einen abstrakt-generalisierenden Maßstab für die Zulässigkeit der Werbung für eine Fernbehandlung zugrunde zu legen und zudem mit der Schaffung des § 9 Satz 2 HWG der Weiterentwicklung telemedizinischer Möglichkeiten durch die dynamische Ausbildung und Anpassung von Standards Rechnung zu tragen (BGH, a.a.O., juris Rn. 53, 54, 64).

 

68 Bei gesundheitsbezogener Werbung sind besonders strenge Anforderungen an die Richtigkeit, Eindeutigkeit und Klarheit der Werbeaussage zu stellen, da mit irreführenden gesundheitsbezogenen Angaben erhebliche Gefahren für das hohe Schutzgut des Einzelnen sowie der Bevölkerung verbunden sein können. Diese Grundsätze gelten mit Blick auf die hohe Wertigkeit der durch § 9 HWG geschützten Gesundheitsinteressen auch für die Beurteilung einer Werbung für Fernbehandlungen im Sinne von Satz 2 dieser Vorschrift (BGH, a.a.O., juris Rn. 62).

 

69 Der Erlaubnistatbestand des § 9 Satz 2 HWG ist ein Ausnahmetatbestand. Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die beworbene Fernbehandlung den allgemeinen fachlichen Standards entspricht, liegt entgegen dem Berufungsvorbringen bei der Beklagten als der Werbenden (BGH, a.a.O., juris Rn. 65; OLG Köln, a.a.O., juris Rn. 83; ebenso Tillmanns, PharmR 2021, 247, 249).

 

70 Aus der in der Gesetzesbegründung verwendeten Formulierung der „Reichweite“ des Werbeverbots lässt sich nicht auf den Willen des Gesetzgebers schließen, die Frage der Darlegungs- und Beweislast bei Einfügung von § 9 Satz 2 HWG anders als in einem Regel- Ausnahmeverhältnis verteilen zu wollen. Auch aus systematischen Erwägungen und dem Verweis der Beklagten auf § 15 Nr. 6 HWG, wonach der vorsätzliche oder fahrlässige Verstoß gegen § 9 HWG eine Ordnungswidrigkeit darstellt, lässt sich nicht darauf schließen, dass die Darlegungs- und Beweislast im Rahmen von § 9 Satz 2 HWG, der eindeutig als Ausnahmetatbestand ausgestaltet ist, nicht beim Werbenden liegen sollte (vgl. auch OLG München, Urteil vom 9. Juli 2020 – 6 U 5180/19 – digitaler Arztbesuch, juris Rn. 55; Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Urteil vom 5. November 2020 – 5 U 175/19 – Fernbehandlung – AU-Scheine per Whatsapp II, juris Rn. 49, 54).

 

71 bb) Vorliegend wurde – pauschal und nicht auf bestimmte Krankheitsbilder beschränkt – für ärztliche Videosprechstunden geworben, insbesondere zur Erlangung ärztlicher Rezepte. Ähnlich wie in dem Fall, der der Entscheidung des BGH vom 9. Dezember 2021 zu Grunde lag, ist die streitgegenständliche Werbung nicht auf Fernbehandlungen begrenzt, für die nach allgemeinen fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen nicht erforderlich ist. Durch die Werbung wird der Eindruck erweckt, eine Videosprechstunde könne immer, also nicht nur bei bestimmten, eng begrenzten Indikationen in Anspruch genommen werden. Eine Einschränkung hinsichtlich der Art der Fernbehandlung wurde in der Werbung auf Facebook und im Werbeflyer nicht vorgenommen.

 

72 cc) Soweit der einschränkende Hinweis, dass die Videosprechstunde nur für Fernbehandlungen in Frage kommt, für die nach allgemeinen fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen nicht erforderlich ist, auf der Homepage erfolgt ist, genügt dies nicht, um die Werbung als zulässig gemäß § 9 Satz 2 HWG anzusehen. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Landgericht insoweit darauf abgestellt, dass der einschränkende Hinweis bereits in der Werbung selbst, also in der Facebook-Anzeige und im Werbeflyer hätte erfolgen müssen.

 

73 Entgegen dem Vortrag der Beklagten handelt es sich hier nicht nur um eine Aufmerksamkeits- oder Imagewerbung, vielmehr soll der Kunde bereits durch die Anzeige auf Facebook bzw. dem Flyer die wesentlichen Angaben erhalten, um sich zu einer telemedizinischen Behandlung zu entschließen. Die in den Werbemedien enthaltenen Informationen können und sollen die Verbraucher dazu veranlassen, das Portal der Beklagten im Internet aufzurufen und dann über den dortigen Link die beworbenen telemedizinischen Leistungen in Anspruch zu nehmen (vgl. zur Werbung in einer Zeitungsannonce für über eine Verkaufsplattform zu erwerbenden Produkte BGH, Urteil vom 14. September 2017 – I ZR 231/14 – MeinPaket.de II, juris Rn. 19).

 

74 Aus dem Urteil des BGH vom 10. Dezember 2009 (I ZR 195/07 – Preisnachlass nur für Vorratsware, juris) ergibt sich entgegen der Auffassung der Beklagten nichts Anderes. Zwar benötigt der Verbraucher dann keine umfassenden Informationen innerhalb der Werbung selbst zu den Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der beworbenen Leistung, wenn er sie aufgrund einer Anzeigenwerbung noch nicht ohne weiteres – etwa mittels einer angegebenen Rufnummer – in Anspruch nehmen kann. Unter Berücksichtigung der räumlichen und zeitlichen Beschränkungen des verwendeten Werbemediums reicht es dann aus, dem Verbraucher diejenigen Informationen zu geben, für die bei ihm nach den Besonderheiten des Einzelfalls schon zum Zeitpunkt der Werbung ein aktuelles Aufklärungsbedürfnis besteht (BGH, a.a.O., juris Rn. 23).

 

75 Vorliegend handelt es sich jedoch gerade nicht um die bloße Ankündigung einer Verkaufsförderungsmaßnahme. Die Anlockwirkung, die der Unternehmer mit der Werbung bezweckt, erreicht den Verbraucher bereits durch die Werbung auf Facebook und im Flyer selbst. Angesichts der strengen Anforderungen an die Richtigkeit, Eindeutigkeit und Klarheit der gesundheitsbezogenen Werbeaussage musste daher bereits bei der ursprünglichen Werbeaussage selbst der einschränkende Hinweis erfolgen, um das Entstehen eines Irrtums über die Zulässigkeit einer Videosprechstunde von vornherein zu unterbinden. Entscheidet sich der Interessent nach dem Lesen der Facebook-Anzeige oder des Werbeflyers dafür, dem Werbeangebot näher zu treten und schaltet er sich deshalb aktiv – durch Anklicken des Links, Scannen des QR-Codes oder Eingabe der Internetadresse – auf die Homepage der Beklagten, kann ein erst dort enthaltener Hinweis ihn nicht mehr in gleicher Weise schützen wie ein Hinweis auf dem Werbemedium selbst. Denn er hat sich bereits auf das Werbeangebot eingelassen und ist u.U. bereits dem Irrtum unterlegen, die Videosprechstunde sei in allen Fällen ein geeigneter, ihm offenstehender Weg. Es bedarf dann größerer Entschlusskraft, sich nicht näher auf das Werbeangebot einzulassen.

 

76 Soweit die Beklagte den Vorwurf erhebt, das Landgericht habe keine Interessenabwägung im Einzelfall vorgenommen, überzeugt dies bereits deshalb nicht, weil die Beklagte ihrerseits nicht aufzeigt, aus welchen Gründen der Beklagten der einschränkende Hinweis im Werbemedium selbst nicht möglich oder nicht zumutbar sein sollte. Solche Gründe sind hier auch nicht ersichtlich. Der einschränkende Hinweis hätte vielmehr – so bereits das Landgericht – ohne Weiteres in den Werbemedien untergebracht werden können. Warum das geschäftliche Interesse der Beklagten, welches naturgemäß darauf gerichtet ist, möglichst viele Kunden auf ihre Homepage zu leiten, dadurch in Anbetracht der hohen Wertigkeit der durch § 9 HWG geschützten Gesundheitsinteressen unangemessen beschränkt würde, ist weder dargetan noch aus den Umständen ersichtlich.

 

77 dd) Die Werbemedien selbst sind daher unzulässig, da sie keinen Hinweis darauf enthalten, dass eine Videosprechstunde nicht in jedem Fall einen persönlichen ärztlichen Kontakt ersetzen kann. Dass eine umfassende Fernbehandlung in Form von Videosprechstunden den in Deutschland geltenden allgemein anerkannten fachlichen Standards entspricht, wird von der insoweit darlegungs- und beweisbelasteten Beklagten nicht behauptet.

 

78 Ob für einen Teil der angebotenen medizinischen Leistungen („Fragebogen“) auf die in Irland geltenden allgemein anerkannten fachlichen Standards abzustellen wäre, kann dahinstehen. Denn die Beklagte wirbt ohne Unterschied jedenfalls auch für Videobehandlungen durch deutsche Ärzte (vgl. Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 20.05.2022, AS I 52) und schon unter diesem Gesichtspunkt ist die Werbung unzulässig.

 

79 4. Der Unterlassungsanspruch ergibt sich daneben auch aus §§ 3, 3a UWG i.V.m. § 11 Abs. 1 Satz 1 ApoG.

 

80 § 11 ApoG wendet sich an Erlaubnisinhaber und Personal von Apotheken und enthält in Abs. 1 Satz 1 das Verbot, mit Ärzten oder anderen Personen, die sich mit der Behandlung von Krankheiten befassen, oder mit Dritten Rechtsgeschäfte vorzunehmen oder Absprachen zu treffen, die eine bevorzugte Lieferung bestimmter Arzneimittel, die Zuführung von Patienten, die Zuweisung von Verschreibungen oder die Fertigung von Arzneimitteln ohne volle Angabe der Zusammensetzung zum Gegenstand haben. Die Regelung des § 11 Abs. 1 Satz 1 schützt das Vertrauen der Verbraucher in die Unabhängigkeit der Tätigkeit des Apothekers und soll sicherstellen, dass sich der Erlaubnisinhaber einer Apotheke bei seinem Kontakt zu anderen Gesundheitsberufen nicht von sachfremden und vor allem nicht von finanziellen Erwägungen leiten lässt (Sieper in Spickhoff, Medizinrecht, 4. Auflage 2022, ApoG § 11 Rn. 1).

 

81 Auch § 11 ApoG ist eine Marktverhaltensregelung im Sinne von § 3a UWG, deren Verletzung die Interessen der Verbraucher spürbar zu beeinträchtigen geeignet ist (OLG Köln, Urteil vom 11. Januar 2019 – I-6 U 131/18 – Bezug von Fertigspritzen, juris Rn. 52).

 

82 a) Eine täterschaftliche Zuwiderhandlung gegen § 11 Abs. 1 ApoG scheidet vorliegend allerdings aus, denn die Beklagte, die anders als die X-Apotheke B.V. keine Apotheke betreibt, gehört nach dem klaren Gesetzeswortlaut nicht zu dem in § 11 Abs. 1 ApoG definierten Adressatenkreis.

 

83 § 11 Abs. 1 ApoG betrifft nur Rechtsgeschäfte zwischen dem apothekenrechtlichen Erlaubnisinhaber oder dem Personal von Apotheken einerseits und Ärzten oder anderen Personen oder Dritten andererseits (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 30. Juni 2020 – 6 U 156/19 –, juris Rn. 7; Sieper, a.a.O., § 11 Rn. 4). Ist auf keiner Seite der Absprache der Erlaubnisinhaber oder dessen Personal beteiligt, ist für einen täterschaftlichen Verstoß gegen

 

84 § 11 Abs. 1 ApoG kein Raum.

 

85 Ob die Beklagte „Dritte“ im Sinne der Vorschrift ist, kann daher dahinstehen. Entgegen der Auffassung des Klägers könnte eine Absprache zwischen der Beklagten als Dritter und ihrer Schwester- oder Muttergesellschaft, die die Versandapotheke betreibt, nicht zur Anwendbarkeit des § 11 Abs. 1 ApoG führen.

 

86 b) Die Beklagte haftet hier jedoch als Gehilfin, denn sie unterstützt durch die streitgegenständliche Werbung die Tätigkeit der Versandapotheke X-Apotheke B.V., mit der diese gegen § 11 Abs. 1 Satz 1 ApoG verstößt.

 

87 Die Kooperation der Versandapotheke X-Apotheke B.V. mit dem Telemedizin-dienstanbieter Z verstößt in der verfahrensgegenständlichen Form gegen § 11 Abs. 1 Satz 1 ApoG. Der die Homepage anwählende Kunde wird direkt zu einem bestimmten ärztlichen Dienst, dem telemedizinischen Anbieter Z, weitergeleitet, ohne rechtzeitig in gleichwertiger Weise auf die Möglichkeit der Konsultation eines niedergelassenen Arztes hingewiesen zu werden (so auch LG Köln, Urteil vom 19. Oktober 2021 – 31 O 20/21 –, juris). Aus den Werbemedien und aus der Anlage AST 3a ergibt sich deutlich die Bewerbung der Videosprechstunde als der bequemeren Alternative gegenüber der Konsultation eines niedergelassenen Arztes. Auf die zutreffende Begründung im angefochtenen Urteil wird verwiesen.

 

88 An dieser Absprache über die Zuführung von Patienten nimmt die Beklagte teil, indem sie durch die auf ihre Homepage führende Werbung die X-Apotheke B.V. bei der Bewerbung der Kooperation mit dem telemedizinischen Anbieter Z unterstützt (vgl. zur Teilnehmerhaftung Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, 40. Aufl. 2022, UWG § 8 Rn. 2.15 f). Die Beklagte ermöglicht der X-Apotheke B.V. die konkret praktizierte unzulässige Zuführung durch die Zurverfügungstellung ihres Marktplatzes und der Homepage als Zieladresse der Werbemedien auf Facebook und im Flyer und zugleich als Zwischenstation für die Weiterleitung an den Telemedizindienstanbieter Z.

 

89 Das bei der Teilnehmerhaftung bestehende Vorsatzerfordernis ist vorliegend erfüllt. Angesichts der Personenidentität zwischen den Geschäftsführern der Beklagten einerseits und der X- Apotheke B.V. anderseits steht die Kenntnis der Beklagten von der Kooperation zwischen der X-Apotheke B.V. und dem Telemedizindienstanbieter Z und von der streitgegenständlichen unlauteren Werbung außer Zweifel. Weiterer Glaubhaftmachung bedarf es insoweit nicht. Auch das Wissen der Beklagten, durch ihren Beitrag die Zusammenarbeit zwischen ihrer Schwester- oder Muttergesellschaft und dem Anbieter Z zu fördern, ergibt sich zweifelsfrei aus den hier vorliegenden Gesamtumständen.

 

90 Soweit die Beklagte meint, § 11 Abs. 1 Satz 1 ApoG fände auf die Kooperation einer Apotheke mit ausländischen Ärzten keine Anwendung, erscheint zweifelhaft, ob eine derart enge Auslegung dem Schutzzweck der Norm gerecht würde. Jedenfalls kooperiert die X-Apotheke B.V. auch – im Zusammenhang mit dem Angebot von Videosprechstunden – mit deutschen Ärzten (vgl. Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 20.05.2022, AS I 52), so dass es auf diese Frage nicht ankommt.

 

91 5. Der Unterlassungsantrag in der Fassung des Hauptantrags ist schließlich trotz Verwendung des „insbesondere“-Zusatzes begründet. Zu Recht hat das Landgericht festgestellt, dass die erforderliche Wiederholungsgefahr, die fehlt, wenn der Antrag über eine zulässige Verallgemeinerung hinausgeht, jedenfalls in Bezug auf den Verstoß gegen § 11 ApoG vorliegt.

 

92 Die für den Verletzungsunterlassungsanspruch erforderliche Wiederholungsgefahr erstreckt sich auf mit der konkreten Verletzungshandlung identische Verletzungshandlungen. Im Interesse eines wirksamen Rechtsschutzes besteht eine Wiederholungsgefahr darüberhinausgehend für alle im Kern gleichartigen Verletzungshandlungen, in denen das Charakteristische der konkreten Verletzungsform zum Ausdruck kommt. In dem Umfang, in dem der geltend gemachte Unterlassungsanspruch jedoch über eine zulässige Verallgemeinerung hinausgeht, fehlt es an der erforderlichen Wiederholungsgefahr. Der Unterlassungsanspruch wäre dann in diesem Umfang unbegründet und der Klageantrag insoweit abzuweisen (BGH, Urteil vom 9. Dezember 2021 – I ZR 146/20 – Werbung für Fernbehandlung, juris Rn. 11).

 

93 Der Hauptantrag ist auf das Verbot gerichtet, durch die streitgegenständlichen Werbemedien und die Weiterleitung auf die Zielseite Anlage AST 3a für eine Kooperation der X-Apotheke B.V. mit dem telemedizinischen Anbieter Z zu werben. Darin liegt das Charakteristische der konkreten, von dem Kläger beanstandete unlauteren Werbung. Jedenfalls bei Aufnahme der Anlage AST 3a in den Unterlassungstenor, von welcher die Weiterleitung – nur – auf den telemedizinischen Dienstleister Z erfolgt, ist die beanstandete Werbung (Facebook-Anzeige bzw. Flyer plus Zielseite AST 3a) begrenzt auf die Werbung für die Kooperation mit dem Anbieter Z. Damit umfasst der Hauptantrag nur Verhaltensweisen, die von der im Streitfall in Rede stehenden konkreten Verletzungshandlung nicht in erheblicher Weise abweichen.

 

94 6. Die Berufung der Beklagten gegen die vom Landgericht erlassene einstweilige Verfügung war damit mit der im Tenor dieses Urteils aufgenommenen Ergänzung und der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.